Rede zum 25-jährigen Bestehen der Marianne Brandt-Gesellschaft e.V. am 22.11.2025 in der Villa Esche, Chemnitz, Prof. Rolf Lieberknecht

Liebe Mitglieder der beiden Gesellschaften, verehrte Gäste,

wir haben uns heute hier eingefunden, um zu feiern.

Am 30.11.1999, also vor 25 Jahren plus 357 Tagen

– fast hätten wir das 25-jährige Jubiläum versäumt –

wurde die Marianne Brandt-Gesellschaft von klugen und verantwortungsvollen

Persönlichkeiten in Chemnitz gegründet, dennoch erst 10 Jahre nach dem Fall der Mauer.

Manches wurde in dieser Zeit zu schnell entschieden, anderes zu langsam, aber das ist überall genauso geschehen.

Genannt werden sollen hier die Gründer:

Prof. Karl Clauss Dietel, Prof. Dr. Reinhard Erfurth, Frau Carmen-Sylva Hueber und Prof. Hans Brockhage.

Zweck des Vereins ist es bis heute, das geistige Erbe und künstlerische Werk der Formgestalterin Marianne Brandt im Umfeld des Bauhauses zu sammeln, zu bewahren und zu den heutigen gesellschaftlichen Entwicklungen und Tendenzen gestalterischen Schaffens in Beziehung zu setzen. So steht es in der Satzung.

Das künstlerische Werk von Marianne Brandt ist wesentlich am Bauhaus entstanden.

Dem Bauhausmeister László Moholy-Nagy hat sie die geistige Auseinandersetzung mit Gestaltungstheorien zu verdanken und der gegenseitige rege Austausch unter den Studierenden hatte inspirierende Wirkung auf ihre Entwurfsergebnisse.

So ist dort Weltkunst entstanden – nicht nur von Marianne Brandt.

Karl Clauss Dietel hat diese atmosphärische Energie „Das Plasma des Bauhauses“

genannt. Das ist wohl richtig, denn nachdem Marianne Brandt das Bauhaus 1929 verließ und insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus und später unter der SED-Diktatur hat sie diese gestalterische Meisterschaft, die sie am Bauhaus entwickeln konnte, versteckt und verborgen gehalten. Und weil während zwei Diktaturen das oben genannte „Plasma“ fehlte, ist ihr Talent wohl auch mit der Zeit eingeschlafen, man könnte sagen zwangsweise „verkümmert“.

Ich lasse hier einmal ihre Anstellung bei den Ruppelwerken 1929 -1932 in Gotha und ihre kurze Lehrtätigkeit in Dresden und Berlin bei Mart Stam in den 50iger Jahren unbeachtet, beides Versuche, irgendwie wieder neu Fuß zu fassen.

Man kann diesen Verlust an künstlerischer Kraft an ihren bildhauerischen und malerischen Arbeiten aus der Nachkriegszeit erkennen, die eine geradezu schülerhafte naive Anmutung haben, kein Vergleich mit ihrem Hauptwerk.

Aufforderungen und Anregungen von Kollegen, insbesondere von László Moholy-Nagy,

Englisch zu lernen und wie andere Bauhäuser Deutschland zu verlassen, ist sie nicht gefolgt. Sie hat zurückgezogen, allgemein unerkannt in Karl-Marx-Stadt in ihrem im Krieg zerstörten Elternhaus in der Johannes R.-Becher-Straße, der heutigen Heinrich-Beck-Straße 22 gelebt.

Ein paar wenige, hier ist wieder Karl Clauss Dietel zu nennen, hatten sie als alte Dame wiederentdeckt, Kontakt mit ihr aufgenommen und versucht, sie in die künstlerisch-gestalterische Szene der „Galerie Oben“ zu integrieren.

Aber selbst im Wohnhaus Heinrich-Beck-Straße, in dem mehrere Mietparteien wohnten, war den Nachbarn bis zuletzt unbekannt, mit welcher bedeutenden Persönlichkeit sie dort zusammenlebten.

Hier möchte ich Ihnen von einem Ereignis erzählen, welches uns erst vor einiger Zeit bekannt wurde. Wir hatten Kontakt mit einem Rechtsanwalt, der als junger Mann auf gleicher Etage Nachbar von Marianne Brandt in der Heinrich-Beck-Straße 22 war.

Für die alte Dame hat er öfter kleine Besorgungen erledigt. Er wusste nichts von ihrer Bauhausgeschichte, nur dass sie auch einen norwegischen Pass besaß.

Zwischenbemerkung: Mit diesem Pass hätte sie jederzeit die DDR verlassen können.

Wie Sie sicherlich alle wissen, erfuhr das Bauhaus erst in der späten DDR größere Anerkennung. Im DDR-Fernsehen war ein Film über den Festakt vom 4. Dezember 1976 zum 50. Jahrestag der Eröffnung des Bauhauses angekündigt. Der Film berichtet über die Wiedereröffnung des Bauhaus-Gebäudes nach der Rekonstruktion. Frau Brandt hatte dazu wohl auch eine Einladung nach Dessau bekommen, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen. Sie fragte ihren Nachbarn, ob sie bei ihm diesen Film anschauen dürfe, denn sie selbst besaß keinen Fernsehapparat. Beide sahen sich den Film gemeinsam an und Frau Brandt kehrte ohne Kommentar über den Film in ihre Wohnung zurück. Ihre Rolle am Bauhaus blieb ihrem Nachbarn weiterhin unbekannt. Und so blieb die Bedeutung der alten Dame in Karl-Marx-Stadt in ihrem näheren und auch dem weiteren Umfeld unerkannt.

Zumindest die offiziell Verantwortlichen für die Kultur der Stadt hätten nach der Renaissance des Bauhauses in der DDR Marianne Brandt rehabilitieren und angemessen fördern können, aber das geschah nicht, obwohl seit Mitte der 1970er Jahre das Bauhaus Teil der offiziellen Kultur der DDR wurde.

Frau Brandt bekam heftige gesundheitliche Probleme. Sie konnte sich nicht mehr allein versorgen. Freunde und insbesondere ihre gute Freundin Liselotte Lange verschafften ihr in einem Pflegeheim in Kirchberg einen Pflegeplatz in einem 4-Bettzimmer.

4-Bettzimmer wohlgemerkt. Die würdelose Behandlung ging noch weiter.

Nachdem sie im Pflegeheim untergebracht war, wurde ihre Wohnung geräumt.

Die Wohnungsverwaltung ließ vor dem Haus einen Container aufstellen. Alle in der Wohnung verbliebenen Gegenstände wurden aus dem Fenster der oberen Etage in den Container geworfen. So berichtete es uns der Rechtsanwalt.

Er war dabei, er war Zeuge und er ist glaubwürdig.

Achtlosigkeit gepaart mit Unwissen und Desinteresse, dazu politischer Dogmatismus können der Kunst die Freiheit und damit die Kraft nehmen und einer Künstlerinnen-Persönlichkeit das Leben mehr als schwer machen. Marianne Brandt verstarb verarmt am 18.06.1983 in Kirchberg.

Vor einiger Zeit tauchte noch ein neuntes „Teextraktkännchen“ Modellnummer

„MT 49“ hier in der Region auf. Bisher waren weltweit nur acht Exemplare in den bedeutendsten Sammlungen bekannt, nun kam ein neuntes an die Öffentlichkeit.

100 Jahre nach seiner Entstehung wurde es bei Lempertz in Köln versteigert.

Ergebnis: 327.600 EUR (inkl. Aufgeld).

Es befindet sich heute im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg und nicht in Chemnitz, wo es eigentlich hingehört.

Die Marianne Brandt-Gesellschaft hat einen wachsamen Blick auf heutige rechtspolitische Tendenzen, die aufs Neue das Bauhaus attackieren. Die AfD bezeichnet im Landtag Sachsen-Anhalts das Bauhaus u.a. als „Irrweg der Moderne“ und bezeichnet Bauten im Bauhausstil als „Bausünden“. Die Marianne Brandt-Gesellschaft stellt sich wie eine Brand(t)mauer gegen rechtsnationale Einflussnahme auf Kunst und Gestaltung. Bitte helfen sie uns auch weiterhin dabei, dass wir im Sinne unserer Satzung: Das geistige Erbe und künstlerische Werk der Formgestalterin Marianne Brandt im Umfeld des Bauhauses sammeln und bewahren. Und ich füge hinzu: auch mit aller Kraft verteidigen.

Ich bin guter Hoffnung. In diesem Jahr hatten wir bis jetzt 1272 Besucher. Das sind etwa 4mal so viele wie 2024 und 3mal so viele wie 2023. Natürlich hat da die Kulturhauptstadt ihren Anteil. Aber an den Eintragungen in unserem Gästebuch kann man erkennen, wie groß die Wertschatzung von dem ist, was unsere Gäste bei uns zu sehen und geboten bekommen. Und das ist nicht zuletzt der guten Betreuung von Gisela Strobel und ihren Mitstreiterinnen zu verdanken.

Zum Schluss noch ein Hinweis:

gemeinsam mit und in TANKSTELLE PROJEKTRAUM zeigt die Marianne Brandt-Gesellschaft zum Ende des Kulturhauptstadtjahres eine ganz besondere Ausstellung.

Titel: László Moholy-Nagy, Lichtbilder und Collagen

Wir haben von der László Moholy-Nagy-Foundation mit Sitz in Ann Arbor, Michigan USA

und in Köln, Germany die Genehmigung erhalten, Dateien von Originalen zu nutzen,

um diese besondere Ausstellung zu gestalten. László Moholy-Nagy war bekanntlich für Marianne Brandt der wichtigste Lehrer am Bauhaus.

Deshalb freuen wir uns, zu unserem 25jährigen Jubiläum plus 358 Tage diese Ausstellung morgen am Sonntag 23.11. um 11:00 Uhr in TANKSTELLE PROJEKTRAUM zu eröffnen.

Sie sind alle herzlich eingeladen.

Vielen Dank